Wie töricht ist es, Pläne für das ganze Leben zu machen, da wir doch nicht einmal Herren des morgigen Tages sind.
Lucius Annaeus Seneca
So zu Abizeiten hatte ich für bestimmte Bereiche meines Lebens recht konkrete Pläne. Ich wollte spätestens mit 30 das erste Kind kriegen (check), einen Mann finden, der mich glücklich macht (check). Was ich eigentlich werden wollte oder wo es mich hin verschlagen sollte, darüber hatte ich mir weniger Gedanken gemacht.
Nach Studium, Auslandsaufenthalten, Hochs und Tiefs habe ich inzwischen einiges von meiner damaligen Lebensplanung geschafft: Studienabschluss, Job, Hochzeit, Kinder. Das was jetzt noch fehlt zum Glück: Ein nettes Häuschen. Ein eigenes Haus war immer der Plan, daran hab ich auch nie gezweifelt, dass das irgendwann passieren würde. Ob groß oder kleine, Reihe, Doppel oder freistehend, neu oder alt: das war eigentlich egal.
Was ich damals nicht bedacht hatte war, dass der Ort dabei vielleicht eine viel größere Rolle spielt, als ich mir ausmalen konnte.
Nachdem Jonas jetzt den neuen Job 80 km nördlich von hier hat und ich ab Februar in Münster arbeite sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es eine vernünftige und richtige Entscheidung wäre, jetzt umzuziehen und den Traum vom Eigenheim zu erfüllen.
Besser jetzt den Schnitt machen, bevor die Kinder noch tiefere Wurzeln schlagen. An die Zeit bisher werden sie sich nicht/kaum erinnern und dementsprechend auch nichts vermissen.
Außerdem lieber in eine gut infrastrukturierte kleinere Stadt ziehen, als hier in einen Vorort ohne Supermarkt. Das ist ja dann auch nicht mehr Münster, so wie wir es im Moment haben.
Wir haben also ein mittelgroßes Städtchen (mit Kino, Schwimmbädern, Kitas, Sportvereinen, Bahnhof) auf halbem Weg zwischen unseren Arbeitsstellen auserkoren, unserer neue Heimat zu werden.
Die Immobilienpreise in Münster sind absurd und in dem Ort konnten wir uns richtig was leisten. Ganz schnell haben wir dann auch ein Haus gefunden - freistehend, 220 m² plus Keller und Dachboden, mit Garage, Gartenhaus, Garten, Fußbodenheizung und Hauswirtschaftsraum.
Wir haben zugeschlagen und direkt unsere Bausparkasse informiert, die uns sofort die Finanzierung zusagte.
Einige Tage später kam nach dem Hoch - "Wir kaufen ein großes Haus" - der Fall - " Ne, mit einem befristeten Vertrag geht das nicht".
Nach einem klarstellenden Telefonat wurde uns abermals versichert, dass die Finanzierung klappen würde, nur zu etwas schlechteren Konditionen.
Während wir dann schon die Einrichtung des Hauses planten, uns auf Kita-Plätze bewarben und mit dem Eigentümer über den Verbleib einiger Dinge verhandelten kamen aber immer wieder neue Probleme auf. Unser Ansprechpartner bei der Bausparkasse machte einen immer inkompetenteren Eindruck und nach einigen Wochen Hin und Her in denen wir alle möglichen Unterlagen - teils mehrfach- eingereicht und meine Eltern für eventuelle Probleme mit ins Boot geholt haben, platzte die Finanzierung - diesmal endgültig. Die Bank war der Meinung der Preis sei zu hoch und sie hätte keine ausreichende Sicherheit.
Wir waren nach dem ganzen Hick Hack schon halbwegs darauf eingestellt und die Absage kam nicht wirklich überraschend.
Wir waren ein paar Tage sehr traurig und hatten daran zu knabbern, dass unser toller Plan nun doch nicht aufging und wir wieder vor unserem unfertigen Lebensplan standen, aber bei mir hat sich da ganz schnell ein anderes Gefühl dazu gemischt:
Erleichterung
Wenn diese ganze Erfahrung für etwas gut war, dann dafür zu erkennen, was mir wirklich wichtig ist. So sehr ich mir immer noch ein Haus mit einem kleinen Garten und mehr Platz wünsche - wenn wir dieses Haus finden, dann sollte es in Münster sein.
Die Vorstellung die Stadt zu verlassen, die seit über 10 Jahren mein zu Hause ist, hat mich wirklich sehr bedrückt. Ich hab mir immer wieder gesagt, dass es auch in der neuen Stadt gut werden würde, hab mir das Haus vor Augen geführt, das wir gemütlich und heimisch machen würden. Aber meine Gedanken haben selten das Haus verlassen. Und dass dieses Haus eben in einem Ort mehr oder weniger im nirgendwo steht, wo wir niemanden kennen und völlig von vorne anfangen würden, das hat mich geängstigt.
Ich habe unsere Situation in den letzten Monaten aus verschiedenen Perspektiven gesehen, ich habe Meinungen von anderen gehört, die meine Sichtweise beeinflusst haben. Das eigene Haus ist nicht mehr das ultimative Endziel. Wir kennen hier jede Menge Leute, die in Wohnungen wohnen und viele davon wollen auch, dass das so bleibt, weil Ihnen die Vorteile der Lage der Wohnung mehr geben, als ein Haus mit Garten. Das Leben " in der Stadt" (fürs Münsterland ist Münster ja eine Großstadt ;) hat auch Vorteile: wir haben alles in fußläufiger Entfernung, was wir zum Leben brauchen; wir kennen die Strassen, die Spielplätze, die Schleichwege, die Menschen - Münster ist auch ein Dorf; man trifft ständig jemanden, den man kennt. Und selbst die etwas abgelegeneren Stadtteile, in denen wir uns am ehesten was leisten könnten sind immer noch näher, als eine andere Stadt. Und auch wenn das einen Kita/Schulwechsel für die Kinder bedeuten würde, sie könnten immer noch mit den alten Freunden in den gleichen Sportverein gehen oder auf die gleiche weiterführende Schule oder sich einfach so nachmittags verabreden. So groß ist Münster nun auch wieder nicht, dass das nicht noch ginge.
Natürlich wäre ein Garten für die Kinder toll und praktisch, aber wenn ich mal ehrlich bin: Krümel geht genauso gerne auf den Spielplatz - und davon hat er hier eine große Auswahl- wo er einen Haufen bekannte und unbekannte andere Kinder trifft. Nur für mich wäre es bequemer ihn einfach in den Garten zu scheuchen.
Natürlich ist unsere Wohnung zu klein, es ist eng ständig fällt man über irgendwas und weiß nicht wohin mit den Sachen. Aber den Kindern ist das völlig egal. Die finden immer Platz für sich. Die hüpfen auf dem Sofa, krabbeln unterm Tisch lang und bauen die Eisenbahn dann eben im Flur auf. Wir haben die Erwartung, dass die Kinder Platz brauchen, aber in Wirklichkeit holen die sich aus dem was sie haben genau das, was sie brauchen. Und wenn wir dann mal runterrechnen wie viel Zeit wir - vom Schlafen abgesehen- tatsächlich zu Hause verbringen... da lohnt es sich kaum mehr Platz zu haben.
Natürlich ist es auch für die Altersvorsorge sinnvoll an Eigentum zu denken. Das haben wir auch noch nicht aufgegeben. Wir haben nur beschlossen, dass der Zeitpunkt vielleicht erst später in unserem Leben kommen wird, als gedacht und wir sind bereit, das Risiko einzugehen, dass er vielleicht gar nicht kommen wird.
Natürlich nutzen wir die kulturelle Angebote, die die Stadt zu bieten hat nicht wahnsinnig intensiv, so wie man es vielleicht erwarten würde. Wir gehen selten ins Theater oder ins Kino und auch nicht essen. Aber das liegt auch an unserer Lebenssituation. Im Moment liegt unser Fokus auf den Kindern. Wir nutzen den Zoo, das Naturkundemuseum, die Schwimmbäder und Spielplätze, das Sporteln, die Sportvereine und die Kita. Wir gehen vielleicht nicht jede Woche auf den Markt und auch mal 6 Wochen gar nicht in die Stadt. Aber manchmal machen wir zu Fuss einen Ausflug zum Käsetüte-kaufen, zum Eisessen, auf den Send, zum Weihnachtsmarkt oder zum Saftladen.
Unere Wurzeln hier sind einfach schon zu tief.
Jonas ist ja eh hier zu Hause, ich fühle mich hier schon lange zu Hause. Münster ist die Stadt, in der wir uns kennengelernt haben, in der wir geheiratet haben und wo unsere Kinder zur Welt gekommen sind. An so vielen Orten, in so vielen Gebäuden stecken Erinnerungen. Das lässt sich mit noch so viel Vernunft einfach nicht wegrationalisieren.
Krümel hat seine kleine Gang in der Kita, seine Freunde aus dem Pekip. Ab August wird Purzel seine Gang mit den Geschwistern gründen. Krümel kennt hier schon die Wege, weiß, wer wo wohnt, wie man zum Spielplatz kommt, liebt das Sporteln und den Zoo.
Wir haben SO viel. Wir haben uns, wir haben gute Jobs mit denen wir genug Geld verdienen, uns ein schönes Leben zu gönnen, sind gesund und haben zwei wundervolle, gesunde Kinder. Das sind mehr als genug Gründe, um glücklich zu sein und ich weigere mich, diese Segen wegen einem Plan, der halt nicht so gekappt hat, nicht wertzuschätzen.
Unsere kleine Wohnung, deren Wände vor ein paar Wochen noch auf uns zu zukommen schienen, scheint mich jetzt eher umarmen zu wollen. Was in dieser Wohnung alles passiert ist, wer hier schon zu Besuch war, welche Veränderung hier stattgefunden oder Ihren Lauf genommen haben... so viele gute Erinnerungen stecken in dieser unserer ersten gemeinsamen (!) Wohnung.
Unsere gemütliche Festung, unser Rückzugsort in unserem persönlichen Paradies.
Wir suchen zwar jetzt etwas größeres, aber solange genieße ich noch die muckelige Enge, die uns umgibt und uns zusammenschweißt und die den Kindern bisher ein gutes Zuhause war.
Ich genieße jeden Tag, dass ich noch hier bin und hier bleiben werde. Ich freue mich über bekannte Gesichter an der Supermarktkasse, kleine Pläuschchen beim Kinderabholen und Kinderverabredungen am Nachmittag. Ich gucke in die Fenster der Wohnung der Leute die wir hier kennen und zehre an schönen Erinnerungen wie an Nektar.
Vor allem genieße ich das Gefühl, angekommen zu sein, an dem Platz zu sein, an den ich gehöre - auch ohne Haus!